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Internet-Meme: Neue Aufgaben für Kunsthistoriker in den sozialen Medien

Kunstfreiheit vs. Urheberrecht - Die Geschichte des Technoviking zeigt, wie Internet-Meme zur Kunst werden können und dass unsere Rechtssprechung dieser Entwicklung um Jahrzehnte hinterherhinkt. Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sieht in diesen Memen aber auch eine neue Aufgabe für Kunsthistoriker.

Als der Medienkünstler Matthias Fritsch im Jahr 2000 einen Tänzer auf der Berliner Fuckparade filmte, ahnte er nicht, dass sein Video zum Internethit werden würde. Sein „Technoviking“ wurde millionenfach angeklickt, tausendfach kopiert und parodiert. Eine Kunstfigur ist entstanden, die Jahre später wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht mehr gezeigt werden darf. Ein neues Beispiel dafür, wie unzeitgemäß unsere Rechtsprechung ist. Das liege vor allem daran, dass viele Richter mit den Werkformen und Strategien moderner Kunst nicht vertraut seien, kritisiert der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich.

Internet-Meme sind Inhalte, die sich viral im Internet verbreiten. Die Dokumentation The Story of Technoviking von Matthias Fritsch erzählt die Geschichte eines sehr erfolgreichen Internet-Memes. Fritsch dokumentierte die vielen Variationen und Nachahmungen des Techoviking und zeigt so, wie Menschen heute mit Inhalten des Internets umgehen und dadurch in Konflikt mit dem über 100 Jahre alten Urheberrecht kommen. Er selbst wurde auf Unterlassung und Schadensersatz verklagt und so muss auch seine Dokumentation ohne den Technoviking auskommen. Wolfgang Ullrich war Gutachter im Rechtsstreit und spricht sich in einem Interview mit irights.info für eine gänzliche Suspendierung der Urheberrechte in den sozialen Netzwerken aus.

Bei etlichen Urteilen [hinkt] die Rechtsprechung der Kunstpraxis um zwei bis drei Jahrzehnte hinterher. (W. Ullrich)

Das Gericht verweigerte Fritsch, sich auf die Kunstfreiheit zu berufen, da es den Film nicht als Kunst, sondern als bloßes Abfilmen verstand. Wolfgang Ullrich hingegen hält den Originalfilm durchaus für eine künstlerische Arbeit und kritisiert die Diskrepanz zwischen Kunstpraxis und unserer Gesetzgebung. Das liege vor allem daran, dass viele Richter nicht mit den Werkformen und Strategien moderner Kunst vertraut seien, so Ullrich. Kunst lasse sich heute nicht mehr an bestimmten Eigenschaften ausmachen, vielmehr klären Institutionen, ob etwas Kunst ist. Dieser „institutionelle Kontext“ wird im heutigen Urheberrecht nicht berücksichtigt, das noch immer von einem objektivierbaren Kunstbegriff ausgeht. Daher sind Internet-Meme ein gutes Beispiel dafür, dass unser Urheberrecht gerade auch in Bezug auf soziale Medien dringend einer Revision bedarf.

Deshalb wäre mein Vorschlag, dass man für die sozialen Netzwerke die Urheberrechte gänzlich suspendiert. (W. Ullrich)

Die Diskussion um den Technoviking macht außerdem deutlich, dass Internet-Meme ein interessantes und wichtiges Thema für Kunstwissenschaftler geworden sind. Vor allem wenn man bedenkt, dass auch viele Kunstwerke längst zu Memen geworden sind, wie die unzähligen Darstellungen der „Mona Lisa“ oder Edvard Munchs „Schrei“ beweisen. Andere wichtige Werke der Kunstgeschichte finden hingegen kaum Beachtung im Internet. Hier finde eine Umgewichtung der Bedeutung von Kunst statt, so Ullrich. Diesem Phänomen nachzugehen, sei eine spannende Aufgabe für Kunstwissenschaftler und gerade auch für die Kunstvermittlung. Deshalb fordert Ullrich:

Für einen Kunstwissenschaftler reicht es heute nicht mehr, zu schauen, was im Museum, auf der Kunstmesse, in einer Galerie passiert. Vielmehr müssen wir wahrnehmen, was in Social Media passiert, mit den verschiedenen Künstlern und ihren Werken.

Die Dokumentation „The Story of Technoviking“ wird vereinzelt im deutschen Kino gezeigt und soll demnächst auch kostenlos online verfügbar sein. Finanziert wird der Film mittels Crowdfunding. Matthias Fritsch präsentiert sein „Technoviking-Archiv“ derzeit auch in der Motorenhalle Dresden im Rahmen der Gruppenausstellung Digital // Analog: Indifferenz (bis 04.07.15).

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Literatur zum Thema Internet-Meme


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